typoteach_logo.gif
Bibliothek   |   Rezensionen
Das Papanek-Konzept


Das Papanek-Konzept, Victor Papanek

Design für eine Umwelt des Überlebens  |  Originalausgabe im
Albert Bonniers Förlag, Stockholm: »Miljön och  Miljonerna« 1970 by Victor Papanek  |  Die deutsche Übersetzung wurde nach der im
Verlag Pantheon Books, New York, erschienenen (erweiterten) amerikanischen Ausgabe »Design for the Real World« besorgt von Wolfgang Schmidbauer  |  Nymphenburger Verlagshandlung  |  1972  |  ISBN 3-485-01816-3

Nach meinem Gespräch über dieses wichtige Design-Buch mit dem Chefredakteur der Zeitschrift form erschien im Dezember 2008 erfreulicherweise eine Neuauflage auf Deutsch.
Victor Papanek: Design für die reale Welt: Anleitungen für eine humane Ökologie und sozialen Wandel (Edition Angewandte) (Taschenbuch)  |  von Martina Fineder, Thomas Geisler, Florian Pumhösl (Herausgeber), Gerald Bast (Herausgeber)  |  Springer, Wien  |  2008  |  ISBN-10: 3211788921, ISBN-13: 978-3211788929

Victor Papanek (1927–1999) war ein Designtheoretiker und -lehrer, der schon in den 60er-Jahren das Design in einen ökologischen und sozialen Zusammenhang stellte. Design zur primären Bedürfnis- und Nutzen-Erfüllung für alle Menschen prägt sein Verantwortungsgefühl als Designer und führt zu seiner Zusammenarbeit mit UN, UNESCO und WHO.

Sein Buch »Das Papanek-Konzept, Design für eine Umwelt des Überlebens« beschreibt in einem ersten Teil, wie es ist, um in einem zweiten Teil darzustellen, wie es sein könnte.

Papanek fordert hier ein Umdenken im Design-Prozess, das bis heute nicht vollzogen ist. Im Grunde ist alles Design und jeder Mensch Designer: auch das Säubern und neu Einräumen einer Schreibtischschublade. »Design ist das bewußte Bestreben, sinnvolle Ordnung zu stiften.“ (S. 17)

Den professionellen Designer sieht Papanek einmal in der Rolle als Team-Dolmetscher, der unter engstirnigen Spezialisten aus den verschiedenen Wissenschaften vermittelt. Andererseits: »Sache des Designers ist es, an Türen zu klopfen, die sich noch nie aufgetan haben.« (S. 43) Papanek rechnet vor, dass sich das an Kultur, Luxus und Wohlstand orientierte Design in den Industrieländern lediglich an 5 Prozent der Weltbevölkerung richtet. Gerade hier verhindern kommerzielle Interessen (immer kürzere Modezyklen, Schaffung künstlicher Bedürfnisse) vernünftige Design-Strategien. »Der Designer wird seiner Aufgabe um so weniger gerecht, je mehr er von einem marktorientierten, profitgerichteten System programmiert wurde.« (S. 91) Diese These untermauert Papanek durch mehrere anschauliche und teilweise unglaubliche Missbrauchs-Beispiele, so dass man seiner Forderung, der Designer müsse Anwalt der Allgemeinheit, also der tatsächlichen Benutzer und Verbraucher sein, gerne folgt.

Im zweiten Teil seines Buches geht Papanek der Frage nach, wie es besser sein könnte.

Die Fähigkeit, Probleme auf neue und unerwartete Art zu lösen – also kreativ zu sein – nimmt durch einen immer stärker werdenden Konformismus ab. Zwar ist Konformismus eine wertvolle menschliche Eigenschaft, die das soziale Getriebe zusammenhält. Doch begünstigen Massenproduktion, Massenmedien und Automation gleichförmige Verhaltensweisen besonders. Zudem wird non-konformistische Autonomie durch die Gesellschaft bestraft (Schule, Erziehung), obwohl sie für das Erkennen, Isolieren, Definieren und Lösen von Problemen so wichtig ist. Papanek macht für die mangelnde Kreativität drei Sperren aus: die kulturelle (Tabuthemen), die assoziative (Intoleranz) und die emotionelle Sperre (Sicherheitsbedürfnis, Risikobereitschaft). Methoden, den Sperren zu entkommen und Probleme zu lösen, werden von Papanek gefordert aber nicht ausreichend angeboten (lediglich das Hineinzwingen in neue Denkmodelle durch Lösen ungewöhnlicher Probleme).

Neue Ziele für verantwortungsbewusste Designer sieht Papanek vor allem in Design-Aufgaben für unterentwickelte Gebiete (z.B. brauchen heute durch das Bevölkerungswachstum mehr Menschen eine Öllampe als zu Zeiten Edisons, aber seit 100 Jahren wurde keine radikal neue Öllampe entwickelt), für Benachteiligte und Behinderte (deren Anteil an der Weltbevölkerung größer ist als die gesamte Bevölkerung der Industrienationen) und weltweit relevanten Konzeptionen (z.B. Umgang mit Wasser). Papanek kritisiert verantwortungslose Designer durch einen Vergleich mit dem Gesundheitswesen: plötzlich lassen alle Ärzte Allgemeinpraxis und Chirurgie sein und widmen sich ausschließlich Dermatologie und Kosmetik.

Ausserdem schlägt Papanek die Bionik als für das Design anregende Wissenschaft vor. Biologische, ethologische und ökologische Systeme bieten Analogien. In diesem Zusammenhang rät er dem Design auch, sich ein Beispiel an den Naturwissenschaften zu nehmen: Elektrizität wurde auch nie definiert, sondern als Funktion beschrieben, die sich in Beziehungen ausdrückt. So kann auch Design nur als Funktion verstanden werden, die sich in Beziehungen ausdrückt.

Zur Verbesserung der Design-Ausbildung legt Papanek eine grundsätzliche Theorie dar: Dem Menschen ist die »Nicht-Spezialisierung« eigen. Momentan herrscht die Spezialisierung vor. Doch moderne Technologien (Computernetze, Automation, Massenprodukte, -kommunikation, Mobilität) könnten wieder zur »Wachheit des Jägers«, zum »Alleskönner« führen. Grundlage des Studierens von Systemen, Formen, Strukturen und Prozessen bilden die Wissenschaften vom Leben (Biologie, Ökologie, Ethologie = Verhaltensforschung). Die horizontale Ausbildung in allen Wissensgebieten ist auch die Voraussetzung für Papaneks Forderung nach »integriertem Design«, das sorgfältig analysiert, auf welcher Komplexitätsebene im geschichtlichen, humanen und sozialen Zusammenhang sich ein Problem befindet. Im Einzelnen schlägt Papanek u.a. vor: Verzicht auf Zensuren und Anwesenheitskontrollen, Mitbestimmung der Studierenden bei Aufgabenthemen, selbstorganisierter Unterricht durch Studierende, Reisen als Praktikum, Quereinsteiger aus Lebens-Wissenschaften statt durchgängiges Design-Studium, Allgemeinfall-Aufgaben vor Sonderfall-Aufgaben, Studien-Kommune. Anschaulich vergleicht Papanek die ideale Design-Lehre mit der Fahrschule: 1: 1-Lehrer-Schüler-Verhältnis, Lehre am Original-Werkzeug unter realen Bedingungen.

Papaneks Fazit: »Design gehört unabdingbar zu jeder menschlichen Aktivität. Das Planen und Abstimmen einer Handlung auf ein erwünschtes, vorhersehbares Ziel hin konstituiert den Designprozess.« (S. 253)

Obwohl das Buch auf Industrie-Design fokussiert ist und über 30 Jahre alt ist, sind die Darstellungen von Selbstverständniss, Aufgaben und Verantwortung des Designers allgemein gültig und in ihrer ganzen Radikalität heute aktueller den je.  

papanek.jpg
29.11.2011